Aber wenn wir schon dabei sind:
Wann hast du deinen Eltern das letzte mal gesagt, das du sie liebst, oder noch nie?
Eine sehr schöne Frage, Palle, aber bevor ich auf die eingehe, möchte ich noch die vorhergehende mit beantworten.
Ich kann meiner Mutter nichts Gutes mehr tun, weil sie schon vor Jahren gestorben ist. Was Palle geschrieben hat, so nach dem Motto "schenk ihr Zeit und Aufmerksamkeit", das kann ich im Nachhinein nur unterstreichen. Es gibt irgendwann einmal ein "Zu Spät" für alles im Leben, auch dafür, ordentliche und gute Beziehungen zu Mitmenschen aufzubauen und zu behalten. Ist halt immer ein gewisses Maß an Arbeit und Selbstaufgabe damit verbunden. Obwohl ich meine Mutter über alles geliebt habe und sie im besten Sinne Mutter war, wie man es sich nur vorstellen kann, war ich als Kind (und Heranwachsender) sicher oft nachlässig und lieblos, und habe vieles, was meine Eltern leisten, einfach für selbstverständlich genommen. "Hotel Mama" sozusagen. Aber so richtig Streit oder Auseinandersetzung gab es zwischen mir und meiner Mutter eigentlich nie. Dazu war sie viel zu gutmütig (was wir Kinder aber nie ausgenutzt haben!). Irgendwann ist man dann groß, zieht aus dem Haus, es folgt Wehrdienst, Studium, Partnerschaft, Arbeit, eigene Kinder... Man lebt halt sein eigenes Leben, hat seine eigene Familie, um die man sich kümmert, usw. Wenn man dann noch ziemlich weit weg von den Eltern wohnt, wird der Kontakt auch immer dünner und oberflächlicher. Ich sag nicht, dass das so sein muss, bei mir war es jedenfalls so. Als meine Mutter schließlich mehrere Jahre schwer krank wurde, konnte ich sie nur noch selten sehen; sie war irgendwann auch psychisch nicht mehr in der Lage, viel zu tun (mein Vater hat sie gepflegt). Zuletzt sah ich sie ein paar Wochen vor ihrem Tod. Aber viel geredet haben wir nicht mehr miteinander.
Aus heutiger Sicht würde ich sagen, das wichtigste im Leben überhaupt sind Beziehungen. Nichts und niemand kann auf Dauer für sich allein bestehen, und in echten, liebevollen Beziehungen liegt der Schlüssel zu Zufriedenheit, Glück und echtem Mensch-Sein. An den Eltern können wir es lernen (wenn wir Glück haben und es uns möglich ist, unsere Eltern zu lieben und von ihnen Liebe zu erfahren), an dem/der Partner/in muss man es dann selbst ausüben, und unseren Kindern können und sollten wir es vorleben. Daher finde ich jede in Beziehungen investierte Zeit und Mühe als das Beste, was man tun kann, und doch tue ich es nicht wirklich so gut und so oft, wie es nötig wäre. Heute tut mir jedes lieblos dahingesagte Wort an meine Mutter, jede Achtlosigkeit ihr gegenüber leid. Ich will nicht sagen, dass ich generell lieblos oder achtlos gegen sie gewesen wäre, im Gegenteil, wir hatten viele glückliche und auch "kuschelige" Stunden, aber es hätte von meiner Seite aus besser sein können, insbesondere, da sie nicht viel Zärtlichkeit von meinem Vater abgekriegt hat; im Gegenteil.
Womit wir auch zu der zweiten Frage von Palle kämen: "Wann hast Du Deinen Eltern das letzte Mal gesagt, dass du sie liebst?"
Es wäre schonmal eine Diskussion wert, ob man es denn oftmals
sagen muss, oder ob es nicht reicht, wenn man es an den Taten, dem Verhalten eines Menschen ablesen kann, dass er den anderen liebt. Aber andererseits: wenn ein Partner es nie vom anderen hört, dass er geliebt wird, wenn der andere sich scheut, es auszusprechen, dann ist vielleicht auch etwas mit der Beziehung im Busch... Wir Kinder (meine Schwester und ich) konnten an dem Verhalten unserer Eltern uns gegenüber ablesen, dass sie uns liebten und alles Erdenkliche für uns tun würden. Richtig gesagt haben wir es aber nie, und auch nicht umgekehrt. Z.B. wuchsen wir in materiell sehr bescheidenen Verhältnissen auf, und das Geld war oft knapp, dennoch bekamen wir oft teure Geschenke zu den entsprechenden Anlässen wie Weihnachten.
Nach dem oben Gesagten ist Euch sicher klar geworden, dass es mir zumindest meiner Mutter gegenüber recht leicht gefallen ist, ihr zu sagen "ich hab dich lieb", auch wenn wir diesen Satz nicht inflationär gebraucht haben. Mir ist es jedoch dennoch immer schwer gefallen, meinen Vater wirklich zu lieben und ihm dies auch zu sagen. Wenn ich ihm so was gesagt hätte, wäre das irgendwie geheuchelt gewesen. Mein Vater ist seit je her ein schwieriger, sturer Typ, der in seiner eigenen Welt lebt, in der nur seine Regeln gelten. Er scheute auch vor Gewaltanwendung in der Familie nicht zurück, und hat viele Menschen vor den Kopf gestoßen, die Famile durch Angst gefügig gemacht. Das hat ihn von allen anderen (Freunden, Verwandten) im Laufe der Zeit isoliert, obwohl er viele Chancen geboten bekam, über seinen Schatten zu springen und das Verhältnis zu seiner Umwelt zu korrigieren. Für mich war er ein echtes Negativbeispiel an Sozialverhalten, und so wie er wollte ich nie werden. Kann man so jemanden lieben, auch wenn er der (biologische) Vater ist? Es fällt mir noch heute schwer, weil er seine Fehler immer noch nicht einsieht und allen, die ihm helfen wollen, weiterhin Schwierigkeiten macht, obwohl er immer einsamer und auch inzwischen "kauziger" und seniler wird. Und dennoch tut er mir leid, weil er in seinem eigenen Käfig gefangen sitzt. Aber auch hier gibt es vielleicht ein "Zu Spät"... Ich überlege mir, ihn mal mit seinen alten Fehlern zu konfrontieren, aber das würde bei ihm keine Einsicht bewirken und unser Verhältnis wohl ganz zerstören.
Auf der anderen Seite denke ich mir: Jeder Mensch braucht jemanden, von dem er geliebt wird. Und das vielleicht sogar ohne Vorbedingungen ("ich liebe dich, weil..." oder "ich liebe dich, wenn..."). Jetzt könnte man das christlich-biblische Menschenbild anführen, wonach Liebe (griech.: agape) kein Gefühl und Gefühlsduselei, sondern ein fester Willensentschluss eines Menschen zugunsten eines Menschen sein sollte (daher kann Jesus auch fordern "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!" oder "Liebet eure Feinde!" - d. h. wir sind aufgefordert, auch ggf. entgegen unseren Gefühlen Liebe einfach auszuüben: "Tut Gutes denen, die euch hassen!"). Aber oft geht das über unsere Kräfte. Und ich will hier keine theologische Diskussion lostreten, sondern nur aufzeigen, dass "Liebe" halt viele Facetten hat, und oft nicht einfach produziert werden kann...
Ach so: ich geb die Frage von Palle mal weiter...